Im Ghetto Ebraico – Zwischen Marcellus-Theater und Palazzo Cenci
- Nicole Fritz
- 2. Nov. 2019
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 16. Mai 2020
Kopfsteinpflaster, enge Gassen, Bogengänge. Fast eine Dorfatmosphäre, wären nicht die Polizeihäuschen vor der Synagoge, die einem wie in vielen anderen Städten verdeutlichen, dass man sich an einer jüdischen Stätte befindet.

Auch wenn keine Mauern mehr stehen und die Tore am Abend nicht verschlossen werden, fühlt man eine imaginäre Mauer. Doch dieses Mal verbannen die Juden aus ihrem Viertel die „Störenfriede der heutigen Zeit“ – Mopeds und Autos.
Der richtige Name des Viertels ist Sant’ Angelo. Das Zentrum bildet die Via del Portico d’Ottavia mit ihren koscheren Restaurants. Auch wenn heutzutage die jüdische Gemeinde in ganz Rom verteilt lebt, hat man das Gefühlt, dass sich alle auf diesem Platz kennen. Vom späten Vormittag an herrscht hier reges Treiben. Die Restaurants und Cafés füllen sich. Man trifft sich auf einer der Straßenbänke auf einen Plausch.
Besonders auffallend ist die Schlange vor einem Bäckerladen. Ein unscheinbarer Laden aus dem es allerdings herrlich duftet. Nach etwas Recherche im Internet fand ich heraus, dass auch Papst Benedikt XVI dem Backwerk nicht widerstehen konnte. „Vom emeritierten Papst Benedikt XVI. weiß man, dass er sich Apfelstrudel aus dem römischen Ghetto in den Vatikan bringen ließ. Und dass er eine Schwäche für Zimtkekse und jüdische Pizza hatte, ein ebenso schweres wie süßliches Gebäck aus kandierten Früchten, Mandeln, Rosinen und Pinienkernen“ (Quelle: Julius Müller-Meiningen; Franz&Friends). Na wenn das so ist, rein in den Bäcker, raus aus dem Bäcker und genießen. Lecker!
Am Abend füllen sich die Restaurants. Jeder versucht einen Platz zu bekommen. Günstig Essen ist anders. Dass sie dennoch fast jeden Abend ausgebucht sind, liegt zum einen sicherlich an der tollen Atmosphäre des Platzes, zum anderen aber auch an der hebräisch-römischen Küche. “Carciofi alla giudia”- Artischocken nach jüdischer Art – als nur eine Spezialität des Viertels. Wichtig zu wissen ist, dass aufgrund des Schabbats alle Geschäfte und Restaurants Freitagabends und den ganzen Samstag geschlossen sind.
Noch heute verströmt das Viertel eine unvergleichliche Melancholie. Ich bin so oft von der Tiberinsel in die Stadt durch das jüdische Viertel gelaufen, habe aber nie eine der Kulturstätten besichtigt. Heute habe ich mich zu einer geführten Tour angemeldet und bin gespannt, mehr über die Geschichte und ihre Bewohner zu erfahren.
Die Tour startet nicht wie erwartet im Ghetto, sondern auf der Piazza del Camidoglio. Francesca wartet schon auf mich vor Marcus Aurelios Reiterstatue uns beginnt auch gleich zu erklären, warum sie immer hier startet. Denn nicht nur im Ghetto wird jüdische Geschichte geschrieben. Der Kapitolhügel spielt eine ebenso große Bedeutung. Die Juden wurden im 14. Jahrhundert als Programmpunkt zur Belustigung der Gesellschaft in den karnevalistischen Spielen hinzugefügt. Noch heute werden diese Pallii veranstaltet, allerdings mit Tieren. In «Roma nova» (vom Jahre 1667/ Sprenger) findet sich die Nachricht, daß die Juden nackt und nur mit einer Binde um die Lenden laufen mußten. Immer wieder haben die Juden um Gnade gebeten. 1668 wurden sie von Papst Clemens IX erhört. Anstatt des Rennens, zahlten sie jährlich 300 Skudi auf dem Kapitolhügel.
Unser Weg führt uns am Marcellus Theater vorbei. Während die meisten Adligen ihre Paläste der Stadt überschrieben haben, ist das Marcellus Theater noch im Privatbesitz. Die Wohnräume sind über das Theater gebaut. Ab und an werden auch noch heute Veranstaltungen gegeben.
Nun stehen wir auf der Via del Portico d’Ottavia. Francesca zeigt Illustrationen, in denen veranschaulicht ist, wie groß das Ghetto ursprünglich einmal war. Heute ist lediglich eine Straße aus dem ursprünglichen Ghetto in seinem Ursprung zu besichtigen.

Ohne mit vielen Details zu langweilen, war ich doch extrem erstaunt, wie viele Menschen auf diesem kleinen Fleckchen unter katastrophalen hygienischen Verhältnissen leben mussten. Das Gassengewirr wurde der jüdischen Gemeinde 1555 von Papst Paul IV. zugeteilt und erst 1870 aufgelöst. In diesem Zeitraum wurde es immer größer. In seiner Hochphase hatte es ungefähr 10.000 Einwohner und war damit eines der größten Ghettos Europas. Es war das letzte Verbliebene in Westeuropa, bis Ghettos von Nazideutschland in den 1930er Jahren wieder eingeführt wurden.
Das jüdische Museum Rom ist absolut lohnenswert und erzählt die 2000-jährige Geschichte der römischen Juden sehr anschaulich.
Aber nicht nur im Museum sind Zeugnisse der Geschichte zu finden. Die Piazza 16 Ottobre 1943 erinnert an die große Säuberung. An jenem Tag wurden über 1000 Juden nach Auschwitz verschleppt, lediglich 15 überlebten. Auch hier konnte Francesca mit einer Geschichte aufwarten, die auf dieser Website ganz gut zusammengefasst ist.
Heute findet man im Ghetto neben den Restaurants auch schöne Geschäfte, die oft eigenes Handwerk verkaufen.
Führung:
Ich habe hierüber meine Tour gebucht: Get your Guide
Essenstipps:
Die Klassiker direkt auf Via del Portico d’Ottavia (Restaurants sind tagesabhängig gut):
Nonna Betta: http://www.nonnabetta.it/wp/
Il Giardino Romano: http://www.ilgiardinoromano.it/
Giggetto: http://www.giggetto.it/
Verstreut im Ghetto:
Al Pompiere Roma: https://www.alpompiereroma.com
Bottega Tredici: http://bottegatredici.it
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